Hauptinhalt

Die Internierung der belgischen Königsfamilie in Schloss Hirschstein und das KZ-Außenlager Hirschstein 1943–1945

Dr. Matthias Donath

Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Jungen, der an einem Drahtzaun steht und in die Ferne blickt
Prinz Albert blickt durch den Zaun des Schlossgeländes auf die Elbe, Herbst 1944  © Archiv des königlichen Palasts, Brüssel

Schloss Hirschstein wurde von 1947 bis 2006 als Kindererholungsheim, Kindersanatorium und zuletzt als Kinderfachklinik genutzt. In der DDR-Zeit erfolgte keine Erinnerung an seine Nutzung als Gefängnis während des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Besuch Prinz Alberts von Belgien 1991 gelangte dieser Teil der Schlossgeschichte jedoch an die Öffentlichkeit. Seitdem trugen Einwohner der Gemeinde Hirschstein verloren geglaubtes Wissen zusammen, während sich Ulrich Fritz von der Stiftung Bayerische Gedenkstätten der Erforschung des KZ-Außenlagers Hirschstein widmete. Die Ausstellung »Schatten über Hirschstein«, die im April 2024 öffnet, bündelt dieses Wissen und bringt Besuchern dieses Kapitel der Schlossgeschichte nahe.

Die Beschlagnahmung von Schloss Hirschstein

Fotos eines maschinengeschriebenen Dokuments
Schreiben zur Beschlagnahmung des Schlosses Hirschstein vom 7. Oktober 1943  © Hauptstaatsarchiv Dresden

Louise Busse, die Schloss Hirschstein 1892 von ihrem Vater zur Hochzeit geschenkt bekam, wohnte dort als Witwe allein. Anfang August 1943 sagte sie verschiedenen Dresdner Museen zu, Räume für die Lagerung von Sammlungsgut für die Dauer des Krieges zur Verfügung zu stellen. Daraufhin wurden Objekte aus der Skulpturensammlung, des Museums für Mineralogie und Geologie und des Mathematisch-Physikalischen Salons nach Hirschstein gebracht.

Bereits am 20. September erging jedoch die Forderung, die Räume wieder freizugeben und am 7. Oktober 1943 erfolgte schließlich die Beschlagnahmung des gesamten Schlosses im Auftrag Hitlers. Louise Busse musste Hirschstein umgehend verlassen und die eingelagerten Objekte wurden am 11. und 12. Oktober nach Schloss Kriebstein gebracht.

Der Überfall auf Belgien

Eine historische Schwarz-Weiß-Fotografie, die eine Gruppe von Militärpersonen und einen Panzer zeigt
König Leopold III. bei einem Truppenbesuch, neben ihm Verteidigungsminister Henri Denis, Mai 1940  © L'illustration, n° 5072 du 18 mai 1940

Als im Mai 1940 die Wehrmacht Belgien angriff und das Land in wenigen Tagen überrannte, ordnete Leopold III. als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Armee gegen den Willen der Regierung die Kapitulation an. Er entschied, nicht ins Exil zu gehen, sondern im Land zu bleiben. Aufgrund der dynastischen Verbindungen nach Deutschland und zum wichtigen Verbündeten Italien mussten ihn die Besatzer als König behandeln und stellten ihn zunächst unter Hausarrest.

Hitler plante bereits 1940 die belgische Königsfamilie im Schloss Schwarzburg in Thüringen zu internieren. Der Umbau dieses Schlosses zum »Reichsgästehaus« wurde jedoch im April 1942 kriegsbedingt eingestellt. Im September 1943 wurde entschieden, die Königsfamilie nach Hirschstein zu bringen. Die Wahl fiel auf das Schloss, weil es über ausreichend repräsentative Räume verfügte und aufgrund seiner isolierten Lage gut zu bewachen war. Außerdem lag es weit von den Frontlinien entfernt. Die dafür nötigen baulichen Eingriffe sollte die Bauleitung der SS mit Hilfe von Häftlingen ausführen.

Hirschstein als KZ-Außenlager und Gefängnis

Foto eines alten, teilweise verfallenen Gebäudes mit einer steinernen Fassade
Haus der SS-Wache, erbaut 1943, Zustand 2024  © Matthias Donath

Die Umgestaltung des Schlosses Hirschstein zur Aufnahme der belgischen Königsfamilie erfolgte von Oktober 1943 bis Mai 1944 unter strengster Geheimhaltung. Die Baustelle bildete ein Außenlager des KZ Flossenbürg, in dem bis zu 220 Häftlinge untergebracht waren. Die Gefangenen errichteten ein Haus für die SS-Wache, legten um das Schloss einen Postengang an und richteten einen Maschendrahtzaun auf, der das Garten- und Parkgelände umschloss. Als Verbindung zwischen Gutshof und Schlossvorplatz errichtete man ein neues Tor. Die KZ-Häftlinge standen dabei unter SS-Bewachung und waren in den Scheunen und Ställen des Ritterguts untergebracht. Bei Fluchtversuchen wurde geschossen.

Unmittelbar nach der Landung der Alliierten in der Normandie befahl Himmler am 7. Juni 1944, die belgische Königsfamilie samt Gefolge ins Reich zu deportieren. Am 9. und 11. Juni trafen die Transporte in Hirschstein ein. Die Bewachung der „Sonder- und Ehrenhäftlinge“ oblag etwa 50 Angehörigen der SS-Totenkopfverbände, die auch die Bewachung der Konzentrationslager übernahmen. Die Häftlinge, die den Umbau vorgenommen hatten, wurden im Mai 1944 größtenteils ins Hauptlager Flossenbürg überstellt. Eine kleine Häftlingsgruppe verblieb bis März 1945 vor Ort und übernahm Garten- und Handwerkerarbeiten.

Der Erinnerungsort Schloss Hirschstein

Luftaufnahme eines Schlosses und seiner Umgebung, im Hintergrund ist ein Fluß zu sehen
Schloss Hirschstein, Luftaufnahme mit Blick zur Elbe  © Wikimedia (Wolkenkratzer)

Als im Frühjahr 1945 die Alliierten immer näher an Sachsen heranrückten, beschloss die NS-Führung, die Gefangenen nach Österreich zu verlegen. Am 7./8. März reiste die Königsfamilie samt Gefolge nach Strobl, östlich von Salzburg. Dort wurde sie am 7. Mai von der US-Armee befreit, konnte aber wegen Vorwürfen seitens der belgischen Bevölkerung bezüglich der Kapitulation zunächst nicht in die Heimat zurückkehren. Nach einer Volksabstimmung am 12. März 1950 wurde Leopold III. wieder als König eingesetzt, dankte aber am 16. Juli 1951 nach Protesten zugunsten seines Sohnes Baudouin ab. Prinz Albert, der jüngere Bruder, besuchte 1991 Schloss Hirschstein, wo er 10 Monate seiner Kindheit als Gefangener verbringen musste.

Mit der Ausstellung »Schatten über Hirschstein« des Heimat- und Fördervereins Hirschstein e. V. soll Schloss Hirschstein zu einem Erinnerungsort der deutschen und belgischen Geschichte werden.

Zeitlinie

  • 8. September 1943: Die Witwe Louise Busse sagt verschiedenen Museen in Dresden zu, Schlossräume zur Lagerung von Sammlungsgut für die Dauer des Krieges zur Verfügung zu stellen
  • 7. Oktober 1943: Schloss Hirschstein wird im Auftrag Hitlers beschlagnahmt, Louise Busse muss Hirschstein umgehend verlassen
  • 11./12. Oktober 1943: Das eingelagerte Museumsgut wird von KZ-Häftlingen nach Schloss Kriebstein verbracht
  • Oktober 1943 bis Mai 1944: Schloss Hirschstein wird unter strengster Geheimhaltung zum Arrestort für die belgische Königsfamilie umgebaut, die Baustelle bildete ein Außenlager des KZ Flossenbürg
  • 9./11. Juni 1944: Die am 7. Juni deportierte Königsfamilie trifft auf Schloss Hirschstein ein, die meisten KZ-Häftlinge wurden zuvor in andere Lager verlegt
  • 7./8. März 1945: Aufgrund der näherrückenden Alliierten werden König Leopold III. und seine Familie nach Österreich gebracht und dort am 7. Mai von der US-Armee befreit
  • 1947-2006: Schloss Hirschstein wird als Kindererholungsheim, Kindersanatorium und Kinderfachklinik genutzt
  • 1949: SS-Oberscharführer Artur Abe wird u. a. wegen Totschlags von Häftlingen des Außenlagers Hirschstein zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt, SS-Rottenführer Helmut Fritzsche erhält für die Erschießung zweier Häftlinge 15 Jahre Haft
  • 21. November 1991: Prinz Albert von Belgien besucht Schloss Hirschstein, wo er 10 Monate seiner Kindheit in Gefangenschaft verbracht hatte
zurück zum Seitenanfang