Die Krankenmorde in der Landesanstalt Großschweidnitz 1939 bis 1945
Regionale und überregionale Bedeutung eines Erinnerungsortes
Maria Fiebrandt
Die psychiatrische Anstalt Großschweidnitz wurde im Frühjahr 1902 eröffnet und erwarb sich bald durch ihre moderne Ausstattung und neuen Therapieansätze einen guten Ruf. Im Zuge wirtschaftlicher Krisen und der lauter werdenden Diskussion um »rassenhygienische« Ideen gerieten Kosten und Nutzen der Anstalt immer wieder in die Kritik. Im Nationalsozialismus zum politischen Prinzip erklärt, wurde die »Rassenhygiene« auch in Großschweidnitz in Form von Zwangssterilisationen von Menschen mit vermeintlich erblichen Behinderungen umgesetzt.
Darüber hinaus wurden Patientinnen und Patienten zum Gegenstand propagandistischer Zurschaustellung herabgewürdigt. An ihnen sollte die vermeintlich fehlgeleitete Politik der »Systemzeit« demonstriert und die Notwendigkeit rassenhygienischer Maßnahmen begründet werden. Therapeutische Angebote wurden eingeschränkt und Patientinnen und Patienten gezielt unter- und mangelernährt. Mit Kriegsbeginn wurden die täglichen Kostsätze nochmals reduziert, was zu einem Anstieg der Sterblichkeit in der Anstalt führte. Da zudem Anstalten in der Umgebung als Lazarette genutzt wurden, musste Großschweidnitz mehr Menschen aufnehmen, was die Situation weiter verschärfte.
Großschweidnitz als Tötungsanstalt
Ab 1940 wurde die Anstalt Pirna-Sonnenstein zu einem Ort des systematischen Mordes von Menschen mit Behinderung durch Kohlenmonoxid. Großschweidnitz fungierte zunächst als Durchgangsstation. Insgesamt verließen 30 »Sammeltransporte« mit mehr als 2.300 Menschen die Anstalt in Richtung Pirna. Im August 1941 wurde die Krankenmordaktion auf Anweisung Hitlers dezentralisiert. Großschweidnitz war zu diesem Zeitpunkt bereits eine Tötungsanstalt.
Die Sterblichkeitsrate in Großschweidnitz lag ab 1942 bei 50 Prozent. Ausgewertete Patientenakten belegen, dass vor allem nicht arbeitsfähige, verhaltensauffällige und pflegeaufwendige Personen ermordet wurden, unter anderem durch eine Überdosierung mit dem Beruhigungsmittel Trional. Zur Verschleierung wurden Todesursachen wie Lungenentzündung oder Kreislaufschwäche in den Akten vermerkt. Konnte die Arbeitsfähigkeit in der Anstalt nicht hergestellt werden, bedeutete dies meist das Todesurteil. Bis Kriegsende kamen in Großschweidnitz über 5.500 Menschen ums Leben.
Kriegsende und Nachkriegszeit
1945 waren die Lebensbedingungen in der Anstalt katastrophal: Es fehlte an Lebensmitteln und Heizmaterial und die Anstalt war durch Flüchtlinge deutlich überbelegt. In weniger als 5 Monaten starben über 1.000 Patientinnen und Patienten. Auch nach Kriegsende blieb die Sterblichkeit hoch, denn die Lebensbedingungen in Großschweidnitz verbesserten sich nur langsam.
Die meisten Toten wurden auf dem Anstaltsfriedhof, zum Teil in Sammelgräbern, bestattet. Seit 2019 ist dieser Friedhof Kriegsgräberstätte. Nach dem Dresdner »Euthanasie«-Prozess von 1947 gerieten die Morde und ihre Opfer in Vergessenheit. Erst Mitte der 1980er Jahre begannen erste Aufarbeitungsbemühungen in dem ununterbrochen weiter genutzten Krankenhaus. 1990 wurde schließlich ein Denkmal eingeweiht.
Gedenkstätte Großschweidnitz
2007/08 erwarb die Gemeinde den Anstaltsfriedhof und das darauf befindliche Pathologiegebäude mit dem Ziel der Einrichtung einer Gedenkstätte. 2012 wurde der Verein Gedenkstätte Großschweidnitz gegründet um regionale Akteure, Vertreter der Öffentlichkeit und historisch Forschende zusammenzubringen. Im selben Jahr wurde die Gedenkstätte als zu fördernde Einrichtung in das Gedenkstättenstiftungsgesetz des Freistaates Sachsen aufgenommen. 2016 legte der Verein ein Konzept sowie erste Baupläne vor und erstellte eine Opferdatenbank mit über 5.500 Einträgen. Von 2019 bis 2022 wurde die Friedhofsanlange wiederhergestellt, das Pathologiegebäude saniert sowie ein Erweiterungsbau fertiggestellt und die Gedenkstätte schließlich im darauffolgenden Jahr eröffnet. Seitdem ist sie Teil der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und bildet mit der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein einen fachlichen Verbund. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind die im Rahmen des Programms »Sehnsucht nach Freiheit« erstellten Audioguides.
Digitale Angebote – Audioguides
Die Gedenkstätten Großschweidnitz und Pirna-Sonnenstein verfügen beide über ein Außengelände, über das Besucherinnen und Besucher bislang vor allem im Rahmen von Führungen mehr erfahren konnten. Die Audioguides bieten nun die Möglichkeit, auch außerhalb der Öffnungszeiten einen individuellen Rundgang anzubieten. Über die kostenfreie App »Hearonymus« erhalten Besucherinnen und Besucher an verschiedenen Stationen Informationen über die Funktion einzelner Orte der Gedenkstätten während der Krankenmorde. Die Guides sind bislang in deutscher und englischer Sprache verfügbar. Eine Erweiterung, beispielsweise um Gebärdensprache, ist geplant.
- Audioguide »Anstaltsfriedhof und Gedenkstätte Großschweidnitz«
- Audioguide »Das Areal der ehemaligen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein«
Zeitlinie
- 1902: Eröffnung der psychiatrischen Anstalt Großschweidnitz
- 1933: Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ im Nationalsozialismus
- Ab 1934: Zwangssterilisation von Patientinnen und Patienten in der Anstalt
- Ab 1938: Patientinnen und Patienten werden systematisch unterversorgt
- 1940: Großschweidnitz wird zunächst Durchgangsanstalt, später selbst Tatort für den systematischen Mord an Menschen mit Behinderung
- 1945: Bis Kriegsende fallen etwa 5.500 Menschen dem systematischen Krankenmord in Großschweidnitz zum Opfer
- 1947: Anstaltspersonal muss sich in Dresden vor Gericht verantworten, die Morde geraten nach dem Prozess in Vergessenheit oder werden verdrängt
- Mitte 1980er: Erste Aufarbeitungsbemühungen in der weiterhin als Krankenhaus genutzten Anstalt
- 1990: Einweihung eines Denkmals
- 2007/08: Erwerb des ehemaligen Anstaltsfriedhofs mit dem darauf befindlichen Pathologiegebäude durch die Gemeinde Großschweidnitz mit dem Ziel der Einrichtung einer Gedenkstätte
- 2012: Gründung des Vereins Gedenkstätte Großschweidnitz
- 2019-2022: Bau der Gedenkstätte
- 2023: Eröffnung der Gedenkstätte Großschweidnitz als Teil der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, im Fachverbund mit der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein