Eine Kultur des Erinnerns wird den Vorfahren gerecht
Eine Kultur des Erinnerns wird den Vorfahren gerecht, verschafft den Zeitgenossen Orientierung und bereitet den Nachfahren den Weg. Sie schafft in einer Gesellschaft gemeinsame historische Bezugspunkte, die aber unterschiedlich betrachtet, empfunden und bewertet werden können.
Die sächsische Geschichte beginnt nicht mit dem Streben nach Demokratie, doch soll dieses Streben hier besonders hervorgehoben werden: Die Revolution und erste Gründung des Freistaates Sachsen 1918/19, das Kriegsende mit den vorangegangenen Verbrechen des Nationalsozialismus, der Volksaufstand von 1953, die Friedliche Revolution 1989 mit der deutschen Wiedervereinigung und Wiedergründung des Freistaates Sachsen ein Jahr danach.
Erinnerungskultur in Deutschland bedeutet immer auch, sich den Verbrechen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu stellen. Damit wollen die Nachgeborenen den Opfern von Krieg und Diktatur gerecht werden und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass das Zeitalter der Extreme Teil der Vergangenheit wird und als abgeschlossen betrachtet werden kann.
Der antitotalitäre Konsens kann als Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Diktaturen und den ihnen zugrundeliegenden Ideologien betrachtet werden. Dort wo er bricht oder gar nicht erst vorhanden ist, schwindet auch die gemeinsame Basis für die Verteidigung der Demokratie.
Sachsen war Schauplatz der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts, von Krieg und Verbrechen, aber auch des Kampfes für Demokratie und Freiheit. Diese Verwerfungen haben Spuren hinterlassen: Orte des Gedenkens und Nachdenkens, menschliche Schicksale, schriftliche Quellen. Hinzu kommt die eigene Erinnerung. Sie reflektiert die zeitgeschichtliche Forschung und wird durch sie ergänzt. Die Forschung weitet den Blick und kann dem Erinnern eine abgesicherte Basis verschaffen.
Die Sächsische Staatskanzlei möchte mit Veranstaltungen, der Förderung von Projekten und der Vernetzung der Akteure einen Beitrag zur Erinnerungskultur in Sachsen leisten. Informationen zu diesen Aktivitäten erhalten Sie auf diesen Seiten.
- Schwerpunkte Zu den Schwerpunkten der Erinnerungskultur
- Veranstaltungen Zu den Veranstaltungen der Erinnerungskultur
Jugendfreiheitskonferenz am 16. Juni 2025 in Chemnitz
35 Jahre nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion lädt Ministerpräsident Michael Kretschmer Schülerinnen und Schüler nach Chemnitz in den Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis ein, um über den Wert von Freiheit und Demokratie – damals wie heute – ins Gespräch zu kommen.
Programm
- 10:00 Uhr Begrüßung durch Oberbürgermeister Sven Schulze und Staatsminister Conrad Clemens
- 10:30 Uhr Impulsführungen durch die Gedenkstätte in den Workshopgruppen
- 11:00 Uhr Workshops (Kunst- und Comic, Gespräche mit Zeitzeugen, »Stasi-Methoden«, Filmvorführung, Lesung
- 13:00 Uhr Mittagsimbiss
- 14:00 Uhr Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer, Dr. Nancy Aris, Dr. Martin Böttger, Andreas Neudert und den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern
- 15:00 Uhr Schlussrunde
- 15:30 Uhr Ende der Veranstaltung
Anmeldung und weitere Informationen unter:
Sächsische Staatskanzlei, Referat 23 A
Telefon: 0351 564-10462
E-Mail: erinnerungskultur@sk.sachsen.de
Vorstellung und Anmeldung zu den Workshops:
Kreative Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen
Mit Stephanie Brittnacher und Caroline Heber
Es ist Mitte August 1961. Bei einer Jugendgruppe aus Ost-Berlin, die gemeinsam auf Usedom ist, steht eine Dampferfahrt »Rund um Bornholm« auf dem Programm. Doch statt wie geplant die dänische Insel – so wird per Lautsprecher durchgegeben – soll das Schiff Rügen ansteuern. Wenige Tage zuvor wurde in Berlin die Mauer errichtet. Die Jugendlichen bitten den Kapitän mit einem Zettel »untertänigst«, »wegen der guten Stimmung auf dem Oberdeck« das ursprüngliche Ziel beizubehalten. Der Scherz wird zum Politikum mit fatalen Folgen für die Jugendlichen.
Im Workshop beleuchten die Teilnehmenden verschiedene Aspekte der damaligen Geschehnisse und fertigen Zeichnungen dazu an. Am Ende soll ein Comic entstehen.
Künstlerische Impulse zum Thema »politische Haft in der DDR«
Mit Hartmut Leimcke, Künstler und Zeitzeuge
Der Künstler Hartmut Leimcke, 1952 in Aue geboren und in Chemnitz aufgewachsen, ist als Zeitzeuge mit spannender persönlicher Geschichte ein adäquater Ansprechpartner für die Fragen der Teilnehmenden.
Nach einem gescheiterten Fluchtversuch war der damals 17-Jährige Berufsschüler von April bis Mai 1970 im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert. Im Anschluss daran wurde er in den Jugendstrafvollzug nach Ichtershausen (Thüringen) verlegt.
Zuerst gibt der bildende Künstler und gelernter Gebrauchswerber den Teilnehmenden eine Führung durch die Gedenkstätte. Danach bekommen die Teilnehmenden von Leimcke künstlerische Impulse zum Thema »politische Haft in der DDR« und können sich mit diesem auf eine kreative Art und Weise auseinandersetzen. Um ein besseres Verständnis der Schicksale politisch Verfolgter zu erlangen, kann ein thematischer Schwerpunkt gesetzt werden – etwa die Haftbedingungen oder die Gründe für die Inhaftierung.
Die Methoden des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Auswirkungen auf die Betroffenen
Mit Sandra Meier vom Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv Chemnitz
Wie arbeitete die DDR-Staatssicherheit? Welche Informationen sammelte sie und wofür? In diesem Workshop lernen die Teilnehmenden die Methoden der Stasi kennen und wie weitreichend und systematisch die SED-Diktatur ihre Feinde ausspionierte.
Anhand von Dokumentenbeispielen wird Teilnehmenden nicht nur das Ausmaß der Überwachung durch die Stasi deutlich gemacht, sondern auch welche Bedeutung es für Menschen hatte, wenn sie auf einmal den ganzen Einfluss der Stasi auf ihr Leben erkannten.
Das Stasi-Unterlagen-Archiv in Chemnitz verwahrt die Überlieferungen der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt. Zu ihrem Archivbestand gehören unter anderem rund sieben Kilometer Unterlagen und ca. 2,3 Millionen Karteikarten.
Eberhard von Cancrin. Eine Geschichte des 17. Juni 1953 – Filmvorführung und Diskussion
Mit Hartmut Rüffert (Frohburg)
Der in Berlin aufgewachsene Filmemacher Alberto Herskovitz reiste 1990 in die Region südlich von Leipzig und lernte dort Hartmut Rüffert kennen. Im Laufe seiner Reise entstand ein Film rund um das Braunkohlenkombinat Espenhain. Dabei stießen sie auf die Geschichte des Geithainer Arbeiters Eberhard von Cancrin, der während des Aufstandes am 17. Juni 1953 erschossen wurde. Ganze 33 Jahre später machten Sie sich erneut auf den Weg, denn von Cancrins Schicksal ist immer noch nicht aufgeklärt. Daraus entstand ein neuer Film, in dem die Witwe des Opfers, Ruth von Cancrin ihren verzweifelten Kampf, das Schicksal ihres Mannes und Vaters ihrer Töchter aufzuklären.
Nach ihrem Tod waren es die Töchter, die es auf sich nahmen, die wahren Hintergründe, die zum Tod ihres Vaters führten ans Licht zu bringen.
Im Anschluss gibt es ein Gespräch zum Film.
Andreas Neudert berichtet im Dialog über seine Zeit hinter den Gittern der DDR
Im Herbst 1988 versuchte der damalige Betriebshandwerker und Motorradrennfahrer Andreas Neudert im Vogtland die Grenze zu Bayern zu überwinden. Dies misslang, trotz seiner ausgeklügelten Hilfsmittel, wie etwa ein Wurfanker und eine zusammenschraubbare Leiter.
Daraufhin war er ab Oktober 1988 als Untersuchungshäftling der Staatssicherheit im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert. Wegen »versuchter Republikflucht in schwerem Fall« wurde Neudert im Januar 1989 zu einem Jahr und zehn Monaten Haft verurteilt und ins sogenannte Jugendhaus Halle gebracht. »Jugendhaus« war in der DDR die beschönigende Bezeichnung für Jugendstrafanstalt. Hinter Gittern erlebte er die Friedliche Revolution, die sich dort unter anderem in einem Hungerstreik der Häftlinge äußerte. Schließlich kam er am 15. November 1989, kurz nach dem Mauerfall, in Freiheit.
Im Workshop berichtet er über die damalige Zeit und seine Erlebnisse in den Haftanstalten der DDR.
Maic Petersohn im Zeitzeugengespräch über seine Zeit in politischer Haft
Der im Jahre 1964 geborene Maic Petersohn bewegte sich im Umfeld von Ausreiseantragstellern. Er selbst hatte auch 1983 einen Antrag gestellt, diesen jedoch zurückgezogen, nachdem er und seine schwangere Frau in der Zwischenzeit eine vernünftige Wohnung zugewiesen bekommen hatten.
Im Januar 1984 war er bei einer stummen Protestaktion im thüringischen Rudolstadt dabei und machte Fotos. Mit dieser Aktion wollten seine Freunde auf ihre Ausreisebegehren aufmerksam machen. Nur einen Tag später wurde er festgenommen und in die MfS-Untersuchungshaftanstalt nach Gera gebracht. Im März wurde er wegen sogenannter »ungesetzlicher Verbindungsaufnahme« zu einem Jahr und zwei Monaten Haft verurteilt. Sein Strafvollzug sollte er dann in Naumburg absitzen.
Im Gespräch berichtet Maic Petersohn über die Hintergründe, die Haft und seine Entlassung im Rahmen des Häftlingsfreikaufs aus der DDR und über seinen Weg vom Kaßberg in die Bundesrepublik im November 1984.
Petra Weise berichtet über ihre Erfahrungen im Konflikt mit dem Regime
Die Bibliothekarin aus Freiberg, geboren 1954, war durch eine lebensbedrohliche seltene Erkrankung ihrer damals dreijährigen Tochter in Konflikt mit dem Regime geraten. Die DDR stellte die notwendigen teuren Medikamente nicht bereit, da die Eltern, wie es hieß, keinen »bevölkerungsbedarfsgerechten« Beruf ausübten.
Nach einem missglückten Fluchtversuch aus der DDR über Bulgarien im Juli 1980 geriet Petra Weise in Haft und wurde zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Sie war im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck eingesperrt, bevor sie im Juli 1981 im Rahmen des Häftlingsfreikaufs aus der DDR über das Kaßberg-Gefängnis in die Bundesrepublik entlassen wurde.
In ihrer Lesung berichtet Petra Weise von ihren Erfahrungen.
Sächsische Heimatblätter - Sonderausgabe 2025
Die »Sächsischen Heimatblätter« erscheinen seit 1954 und trugen in der Zeit der DDR maßgeblich dazu bei, das sächsische Heimatbewusstsein zu bewahren.
Auch in den letzten 25 Jahren haben sie wichtige Impulse für die Erforschung sächsischer Kultur und Geschichte gegeben.
Die vorliegende Sonderausgabe der »Sächsischen Heimatblätter« stellt Ergebnisse des Förderprogramms »Sehnsucht nach Freiheit« vor, das im Doppelhaushalt 2023/24 der Sächsischen Staatskanzlei ins Leben gerufen wurde.
Es förderte Projekte zur Erinnerungskultur, die die Sehnsucht nach Freiheit und ihre Bedeutung für Demokratie thematisieren.