17.06.2024

Jugendfreiheitskonferenz 2024 – Gewissen und Widerstand in Diktaturen

Männer und Frauen diskutieren vor Publikum auf einer Bühne.
Jugendfreiheitskonferenz 2024 
© Nikolai Schmidt

Jugendfreiheitskonferenz mit Ministerpräsident Michael Kretschmer in der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden

Bereits zum zweiten Mal fand am 17. Juni 2024 in der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden eine Jugendfreiheitskonferenz statt. Dieses Jahr stand sie unter dem Motto »Gewissen und Widerstand in Diktaturen«.  Knapp 130 Schülerinnen und Schüler aus Sachsen, Bayern, Tschechien und Polen tummelten sich an diesem Tag in der Gedenkstätte, nahmen an Workshops und der Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer teil. Die Veranstaltung wurde ausgerichtet von der Sächsischen Staatskanzlei in Kooperation mit dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus und der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden.

»Dies ist heute eine grenzüberschreitende Konferenz an einem besonderen Datum und an einem besonderen Ort«, leitete Barbara Klepsch, Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus, die Konferenz am Morgen ein. Die Gedenkstätte sei ein stummer Zeuge für die Schrecken der Vergangenheit. Der 17. Juni 1953 stehe als leuchtendes Beispiel für die Kraft des Widerstandes. An diesem Tag protestierten die Arbeiter in der DDR gegen die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und Normerhöhungen. Innerhalb weniger Stunden weitete sich der Protest zu einem Volksaufstand gegen das SED-Regime aus, der nur mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht niedergeschlagen werden konnte.

Mindestens 55 Menschen wurden in Folge der Unruhen getötet. Dieser 17. Juni symbolisiere die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit, so Barbara Klepsch. Dabei sei es keineswegs nur um wirtschaftliche Missstände gegangen, sondern auch um freie Wahlen, um Demokratie und die Einheit Deutschlands. Während an diesem Tag Panzer zum Einsatz gekommen seien, blieben sie im Herbst 1989 in den Kasernen, so dass eine Friedliche Revolution zum Erfolg geführt habe. Damit war der Weg zur Demokratie und zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten frei.

Ursache der deutschen Teilung war der verbrecherische Angriffskrieg des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Am 20. Juli jährt sich zum 80. Mal das Attentat gegen Hitler. Es war ein Versuch, dem mörderischen NS-Regime ein Ende zu setzen. Widerstand unter den Bedingungen einer Diktatur erfordert Mut, erfolgt oft aus Gewissensqualen heraus und kann Freiheit und Leben kosten.

»Dafür steht unser Haus: für Menschen des Widerstandes, die für Freiheit eingestanden sind und oft dafür bezahlt haben«, betonte die Leiterin der Gedenkstätte Uljana Sieber. Eingefordert hätten sie die Grundwerte unserer heutigen Verfassung, nämlich frei zu sprechen, zu denken, Musik zu machen oder reisen zu können, wofür sie zum »Feind« erklärt worden seien. Heute sei unter diesem Dach ein Fest der Freiheit möglich, aber es sei an den jungen Menschen, unsere Verfassung und Freiheit weiterzuführen.

Spoken-Word-Künstlerin Jessy James LaFleur gab nicht nur eine zum Konferenz-Thema passende Performance zum Besten, sondern erinnerte als Grenzgängerin (sie kommt aus Ostbelgien) alle Teilnehmer an den komfortablen Zustand, den wir als Europäer täglich genössen. »Wir sind in die Freiheit hineingeboren, aber wie viel trägt jeder von uns dazu bei?« Dieses Europa läge in unseren Händen, wir sollten seine Werte wieder zu schätzen lernen, so Jessy James LaFleur.

Nach der Begrüßung im Festsaal verteilten sich die Schülerinnen und Schüler auf die verschiedenen Angebote und Workshops. Während manche den Rundgang mit Audio-Guide durch die Gedenkstätte antraten, versuchten sich andere im Graphic-Novel-Workshop zum 20. Juli 1944, der von Dr. Niels Schröder, Dozent für Illustration und Comic-Zeichner, geleitet wurde. Mit »Mail-Art als Opposition in der DDR“ befasste sich ein weiterer Workshop, angeleitet vom Zeitzeugen und Gedenkstätten-Mitarbeiter Jürgen Gottschalk sowie der Referentin Cilly Zimmermann. Jessy James LaFleur lud ihre Gruppe im Kurs »Deine Stimme zählt« zum Texten und Vortragen ein, der Frohburger Dokumentarfilmer Hartmut Rüffert zeigte seinen Film »Eberhard von Cancrin.

Eine Geschichte des 17. Juni 1953« mit anschließender Diskussion. Dr. Jens Baumann, Sächsischer Beauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler, präsentierte gemeinsam mit drei Schulen die Ergebnisse des Schülerwettbewerbs »Gewissen und Widerstand« und zusammen mit Dr. Lars-Arne Dannenberg die erweiterte Ausstellung »Prüfstein des Gewissens«.

Nach dem Mittagessen trafen sich alle Teilnehmer zur Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer im Festsaal wieder. Mit in der Runde saßen Dr. Nancy Aris, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, sowie der Illustrator Dr. Niels Schröder. Die Diskussion stand unter dem Thema »Widerstand in Diktaturen. Was ist mir Freiheit heute wert?« Schnell wurde deutlich, dass sich die Fragen der Schülerinnen und Schüler vornehmlich um das Ergebnis der Europa-Wahlen, das vorgezogene Wahlalter und seine Folgen beziehungsweise die Notwendigkeit, in der Schule über Parteien und ihre Programme aufzuklären, drehten.

Ministerpräsident Michael Kretschmer stellte sich den zum Teil unbequemen Fragen. Er betonte, dass es nach den Europa-Wahlen wichtig sei, aus der demokratischen Mitte heraus politisch zu handeln. »Europa ist ein Friedensversprechen, nach innen und nach außen«, so der Ministerpräsident. Statt sich wie früher die Köpfe einzuschlagen, säßen in Brüssel die Verantwortlichen beisammen, um nach Lösungen zu suchen. Zudem könnten sich 450 Millionen besser verteidigen als 80 Millionen Menschen. »Demokratie verlangt nach bewusst entscheidenden und informierten Bürgern, ansonsten schafft sich die Demokratie selbst ab«, erinnerte Michael Kretschmer.

Auch Dr. Niels Schröder betonte die Notwendigkeit einer gewissen Resilienz der Demokratie. Wichtig sei hierbei ein Zusammengehörigkeitsgefühl und die Akzeptanz der Demokratie. »Das Niedermachen der Demokratie hat in Deutschland aber leider Tradition«, betonte der Autor und Zeichner. Komplexe Fragen könne man nicht mit einfachen Antworten abtun, meinte Dr. Nancy Aris, sie erforderten lange Prozesse, wofür oftmals die Geduld fehlte.

Die Moderatorin Soraya Rammer kam dann doch noch auf den 17. Juni 1953 und seine Wahrnehmung zu sprechen. Während Dr. Niels Schröder meinte, dass dieses Ereignis in seiner westdeutschen Schulzeit eher »stiefmütterlich« behandelt worden sei, erinnerte sich Dr. Nancy Aris vor allem an seine Tabuisierung zu DDR-Zeiten: »Der 17. Juni 1953 ist als »Provokation aus dem Westen« vermittelt worden, mein Wissen darüber schöpfte ich nur aus den Westmedien, sonst wurde darüber nie gesprochen.«

Am Nachmittag präsentierten die Schülerinnen und Schüler die Ergebnisse ihrer Projekte, die Bühne im Festsaal gehörte nun ganz ihnen.

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