Festakt im Ständehaus in Dresden am 10. November 2018
Mit einer Festveranstaltung würdigten die sächsische Staatsregierung und der Sächsische Landtag am 10. November 2018 die Ausrufung der ersten sächsischen Republik.
Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an den demokratischen Beginn, an den »Aufbruch ins Ungewisse«, den Sachsen vor 100 Jahren mit der Begründung des demokratischen Parlamentarismus erlebte. Es sei eine Zeit heute unvorstellbarer Wirren gewesen, in der sich die junge sächsische Republik behaupten musste.
Streiks, Demonstrationen, Straßenkämpfe und wirtschaftliche Not prägten die Anfangsjahre. Helden- und Opfermythen, das Denken in den Kategorien Freund und Feind durchzogen auch in Sachsen die Gesellschaft. Die junge Demokratie habe daher kaum Ruhe finden können, ständig angefeindet von Links- und Rechtsextremisten, zu wenig unterstützt von überzeugten Verfechtern.
Entsprechend appellierte der Landtagspräsident, dass die Demokratie und die republikanische Verfassung von den Bürgerinnen und Bürgern gelebt und verteidigt werden müssten. Niemals dürfe die Zweckmäßigkeit der Demokratie in Zweifel gezogen werden. Ferner seien ein breites Verständnis von Parlamentarismus sowie die volle Akzeptanz der Spielregeln des Parlamentarischen unabdingbar. Wer hingegen die parlamentarische Demokratie als Experiment mit offenem Ausgang verstehe und das Demokratische, also den nötigen Streit und den erforderlichen Konsens, gezielt diskreditiere, der unterspüle die repräsentative Demokratie.
Die Ausrufung der Republik vor 100 Jahren sei ein Feiertag in der sächsischen Geschichte, betonte Ministerpräsident Michael Kretschmer. Damals habe eine große Entwicklung hin zu Demokratie und Rechtsstaateingesetzt. Heute, nach einem weiteren verheerenden Weltkrieg und zwei Diktaturen, lebten wir im besten Sachsen, das es je gegeben habe, in einer Zeit des Friedens und des Wohlstands. Das alles sei möglich, weil sich die Deutschen ihrer Geschichte gestellt hätten. Sachsen brauche Menschen, die sich selbstbewusst in der Demokratie engagierten, die Kompromisse eingingen und das Verbindende in den Mittelpunkt stellten. Es sei nötig, sich darüber zu verständigen, was es für das Land zu erreichen gelte. Dabei dürfe man nicht stehenbleiben, denn das bedeute heutzutage Rückschritt. Stattdessen müsse man sich den aktuellen Herausforderungen stellen, die wohlgemerkt weit geringer seien als jene vor 100 Jahren.
Die Revolution 1918/1919 sei einerseits eine Kriegsbeendigungsbewegung gewesen, andererseits aber auch der erfolgreiche Versuch, den Reformstau im Land aufzulösen und das monarchische System zu überwinden. Als zentrales Ergebnis der Revolution habe mit der Landesverfassung vom 25. Oktober 1920 die parlamentarische Demokratie gestanden, argumentierte in seinem Vortrag der Historiker Prof. Dr. Mike Schmeitzner vom Hannah-Arendt-Institut an der TU Dresden.
Entscheidend sei dabei gewesen, dass die Revolution dem allgemeinen demokratischen Wahlrecht und dem Frauenwahlrecht zum Durchbruch verholfen und die Parlamentarisierung auf Landesebene durchgesetzt habe. Fortan hing die Regierung vom Vertrauen des Parlaments ab und nicht mehr vom Vertrauen des Königs – ein Novum.
Den Ablauf der Revolution 1918 in Sachsen schilderte Schmeitzner detail- und anekdotenreich, zeigte die abweichenden Ziele von Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) und Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) auf, etwa als es um die schnelle Abhaltung von demokratischen Wahlen ging. Am Ende setzte sich die MSPD mit ihrer Forderung nach
parlamentarischer Demokratie durch. Der Historiker verwies auf die Tatsache, dass das Wort Freistaat – was nichts anderes bedeutet als Republik – in Sachsen erst Anfang 1919 Verfassungsrealität geworden sei. Der Dresdner »Vereinigte Revolutionäre Arbeiter- und Soldaten-Rat« habe am 10. November 1918 indes die »soziale Republik« Sachsen proklamiert.
Auch die Revolutionsgewalt kam zur Sprache. Der sächsische König Friedrich August III. habe mit seinem ausdrücklichen Verzicht auf Gewaltanwendung zum friedlichen Umsturz beigetragen, bemerkte Schmeitzner. Ansonsten sei die Revolution in Sachsen vergleichsweise gewaltarm verlaufen, im Unterschied etwa zu Berlin mit 1 200 Toten allein
im März 1919. Zwar habe es Gewaltausbrüche gegeben, wie die Ermordung des sächsischen Ministers für Militärwesen Gustav Neuring. Die Revolution und ihre Ergebnisse verdunkle das aber nicht.
Wie könne man nun heute an diese demokratische Revolution erinnern? Gerade für Sachsen lasse sich aus den Revolutionen und Freiheitsbewegungen 1848/1849, 1918/1919, 1953 sowie 1989, die hier besonders stark gewesen seien, »ein ganzes Bündel freiheitlicher Traditionen generieren«. Aber auch an Menschen wie Georg Gradnauer, der 1918/1919 mit Besonnenheit und dem Willen um politischen Ausgleich bemüht war, die parlamentarische Demokratie in Sachsen zu verankern, sei zu erinnern. Gradnauer käme heute kaum im öffentlichen Gedächtnis der Sachsen vor, obwohl es sich bei ihm um den ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten und Begründer des Freistaates Sachsen handele.
Anschließend diskutierten Ministerpräsident Michael Kretschmer und Prof. Dr. Mike Schmeitzner über die aktuellen Bezüge der Thematik. Beide waren sich einig, dass die Weimarer Republik zu sehr von ihrem Ende her betrachtet würde und zu wenig die demokratische wie rechtsstaatliche Errungenschaft hervorgehoben werde. Weimar sei keine Demokratie ohne Demokraten gewesen, betonte Schmeitzner. Stattdessen sei von 1919 an sehr viel erreicht worden, bis dann 1929 im Zuge der Weltwirtschaftskrise extremistische Kräfte wie die NSDAP starken Zulauf erfuhren. Aber es hätte anders kommen können. Im Scheitern der ersten deutschen Demokratie läge kein Automatismus. Kretschmer betonte, wie wichtig heute Kompromissfähigkeit sei – eine zentrale Lehre aus der Geschichte. Auf mehr politisches
Mitmachen in gesellschaftlichen Institutionen und Vereinen käme es auch an. Denn ein solches Engagement schaffe Wissen darüber, wie die Demokratie funktioniere. »Weimarer Verhältnisse« drohten indes nicht, betonten beide. Die heutigen Krisenphänomene wiesen vor allem darauf hin, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.